Wirtschaftspolitischer Vortrag der Sparkasse Rhein-Nahe gibt Ausblick auf die Zukunft
„Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation: Eine wirtschaftspolitische Zeitenwende?“
Nach drei Jahren Pandemie-Abstinenz fand der 37. Wirtschaftspolitische Vortrag der Sparkasse wieder mit Publikum und im persönlichen Austausch statt. Mehr als 600 Gäste waren der Einladung gefolgt und in die kING Kultur- und Kongresshalle in Ingelheim gekommen, um den Ausführungen der hochkarätigen Expertin zu lauschen: Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Gundula Gause, bekannt aus dem ZDF-heute-Journal, moderierte charmant durch den Abend. Für die humorvolle Unterhaltung sorgte Kabarettist Lars Reichow.
Der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Rhein-Nahe, Peter Scholten, begrüßte die Teilnehmenden und bat die Ehrengäste auf die Bühne. Bettina Dickes, Landrätin des Landkreises Bad Kreuznach, Dorothea Schäfer, Landrätin des Landkreises Mainz-Bingen, sowie Ralf Claus, Oberbürgermeister der Stadt Ingelheim berichteten über die aktuellen Herausforderungen der Menschen vor Ort. Dazu zählten der Fachkräftemangel und die angespannte Wohnraumversorgung. Es sei eine teilweise ängstliche und mutlose Gesellschaft zu beobachten. Daher sollte vor allem Mut gemacht und das Vertrauen in den Staat gestärkt werden.
In ihrem 30-minütigen Vortrag fasste Monika Schnitzer die Inhalte des Jahresgutachtens 2022/23 zusammen, das der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesregierung im November vorgelegt hatte. „Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten“ lautet der Titel des 459-seitigen Gutachtens. Schnitzer ist seit 2020 Mitglied des Sachverständigenrates und wurde 2022 als Vorsitzende für drei Jahre gewählt. Seit mehr als 20 Jahren ist sie in der Politikberatung aktiv.
Sie beschrieb, dass die seit Mitte des Jahres massiv angestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise zu immer stärkeren Kaufkraftverlusten führen und den privaten Konsum dämpfen. Gleichzeitig belaste die Energiekrise die Produktion, insbesondere in den energieintensiven Industriezweigen. Der Sachverständigenrat schätzt, dass das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland in diesem Jahr nur noch um 1,7 Prozent steigt, für 2023 erwartet er einen Rückgang des BIP von 0,2 Prozent.
Deutschland steht vor einer Rezession
„Mit 10,4 Prozent erreichte die Inflation in Deutschland im Oktober 2022 den höchsten Wert seit Anfang der 1950er-Jahre“, so Schnitzer. „Die steigenden Kosten werden zunehmend an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben, was auch die Kerninflation antreibt.“ Der Sachverständigenrat rechne daher mit einer Inflationsrate von 8,0 Prozent für das Jahr 2022 sowie von 7,4 Prozent für 2023. „Inflation und Geldpolitik drücken die Nachfrage und bremsen die Wirtschaft“, sagte die Expertin. Aktuell sei der Konsum zwar noch relativ stabil, da die Menschen entsparen, das heißt, ihre Ersparnisse auflösen. Dennoch werde eine Rezession für 2023 erwartet: „Pandemie und Krieg führen zu Wohlstandsverlust.“
Vor allem einkommensschwache private Haushalte seien stark betroffen. „Daher müssen die Belastungen zielgenauer abgefedert und die Entlastungen solidarisch finanziert werden, die Reiche mehr beanspruchen und Arme weniger“, forderte Schnitzer. Allerdings müsse die Finanzierung dafür sichergestellt werden, ohne die öffentlichen Kassen übermäßig zu strapazieren. Für den Sachverständigenrat wäre die nochmalige Aussetzung der Schuldenbremse 2023 sinnvoll und transparent gewesen.
Energiekrise solidarisch bewältigen
Das Gutachten empfiehlt drei Maßnahmen: Der Abbau der kalten Progression sollte auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Zudem könnten einkommensstarke Haushalte befristet über einen Energie-Solidaritätszuschlag oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes an der Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen beteiligt werden. Schnitzer begründete dies: „Die Maßnahmen würden die Zielgenauigkeit des Gesamtpakets aus Entlastungen und Belastungen erhöhen und dazu beitragen, die Energiekrise solidarisch zu bewältigen“. Die Kalkulationen des Sachverständigenrates hätten ergeben, dass jeder dieser Ansätze ein Einsparpotenzial von 10 bis 15 Milliarden Euro mit sich bringen würde.
Um den Anstieg der Energiepreise zu dämpfen, sollte die Energieknappheit durch eine Ausweitung des Angebots und Einsparungen bekämpft werden. Die hohen Energiepreise wirken sich vor allem auf die energieintensive produzierende Industrie aus. Positiv bewertete die Expertin, dass im Gegenzug die Energiepreise den Strukturwandel in der Industrie weiter beschleunigen und dadurch die Energieintensität zügiger reduziert werde. Im Jahr 2023 dürften zudem Exporte und Investitionen der Unternehmen allmählich wieder zunehmen. Außerdem sei abzusehen, dass die Lieferengpässe langsam nachlassen und der hohe Auftragsbestand der Industrie abgearbeitet wird.
Zum Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel führte Schnitzer aus: „Ohne zusätzliche Erwerbsmigration und berufliche Weiterbildung bleiben die Engpässe dauerhaft bestehen.“ Über Umschulungen und Weiterbildungen könnten Beschäftigte für andere Tätigkeiten qualifiziert werden. Ergänzend sollte die Erwerbsmigration erleichtert werden, indem die Gleichwertigkeitsprüfung vereinfacht oder abgeschafft werde. „Wir sollten nicht so sehr auf den Berufsabschluss achten, sondern auf die Qualifikation für den Arbeitgeber“, so Schnitzer.
Die Corona-Krise und der russische Angriffskrieg hätten gezeigt, dass Deutschland bei Energie sowie bei kritischen Rohstoffen von anderen Staaten abhängig ist. Das Gutsachten hält es für dringend erforderlich, die Abhängigkeiten zu reduzieren und die Resilienz der Wertschöpfungsketten zu steigern. Dazu sollten einerseits europäische Produktionskapazitäten und Infrastrukturen ausgebaut und andererseits die Lieferketten und die Bezugsquellen kritischer Rohstoffe und Energieträger diversifiziert werden.
Zum Ende ihres Vortrags resümierte die Vorsitzende des Sachverständigenrates: „Solidarität und Zusammenhalt sind gefragter denn je – auch innerhalb Europas. Die neue Realität muss aktiv gestaltet werden. Es liegt an uns als Gesellschaft, das Beste aus dieser Krise zu machen, oder wie es Winston Churchill formulierte: ‚Never waste a good crisis‘.“
Der „Deutschland-Blues“
Nach der Fülle an Informationen und Zahlen gelang es Lars Reichow, mit seinen unterhaltsamen und ironischen Vorträgen das Publikum zum Lachen zu bringen – so wie man es von ihm aus der Mainzer Fassenacht kennt. Seine musikalischen Darbietungen „Lied über die Jahreszeiten“, der „Deutschland Blues“ und die Zugabe „Fußball in der Wüste“ begeisterten die Zuhörer, stimmten aber auch nachdenklich.
So bewegte einer dieser Titel in der anschließenden Diskussionsrunde Moderatorin Gundula Gause zur Frage an Peter Scholten, ob tatsächlich Anlass zum Deutschlandblues bestehe. Scholten zählt hier eher auf Optimismus: „Die Menschen fahren derzeit auf Sicht und die Banken tun das auch. Wir als Sparkasse werden zumindest für das Jahr 2023 Konsolidierung benötigen. Die Planungen zeigen ab 2024 wieder ‚normale Zeiten‘.“
Positive Grundstimmung
Prof. Monika Schnitzer bestätigte den Trend einer vorsichtigen, aber dennoch hoffnungsvollen Einstellung der Menschen: „Ich habe heute hier erfahren, dass die Menschen eine optimistische Grundhaltung haben − das Publikum ist gut drauf.“
Das Schlusswort hatte Peter Scholten. Für ihn war dies der letzte Wirtschaftspolitische Vortrag als Vorstandsvorsitzender. Nach 18 Jahren bei der Sparkasse Rhein-Nahe wird er sich im Sommer in den Ruhestand verabschieden. Er übergibt seinem Nachfolger, Holger Wessling, und dessen Vorstandskollegen, Steffen Roßkopf und Jörg Brendel, ein „besenreines Haus“, wie er betonte. „Zwar hätte ich mir bessere Zeiten für mein Ausscheiden gewünscht. Aber ich kann auf 18 gute Jahre mit viel Freude bei der Sparkasse Rhein-Nahe zurückblicken.“
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