Der Corona-Schock – welche Auswirkungen hat er auf Wirtschaft, Digitalisierung und Klimapolitik?
35. Wirtschaftspolitischer Vortrag der Sparkasse Rhein-Nahe im s Haus
Es war eine absolute Premiere. Unter gänzlich veränderten Bedingungen und erstmals im virtuellen Rahmen fand in diesem Jahr der 35. Wirtschaftspolitische Vortrag der Sparkasse Rhein-Nahe statt. Corona-bedingt wurde die Veranstaltung im s Haus in Bad Kreuznach aufgezeichnet. An Sparkassen-Rot eingedeckten Stehtischen begrüßten Peter Scholten, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Rhein-Nahe, Vorstandsmitglied Steffen Roßkopf und Moderator Dirk Alexander Lude zwar nicht das Publikum im Saal, aber die Zuschauer an den Bildschirmen.
Auch unter den erschwerten Bedingungen ist es der Sparkasse gelungen, wieder einen hochkarätigen Experten zu gewinnen: Prof. Dr. Dr. h. c. Lars P. Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Rat der Fünf Wirtschaftsweisen), stellte das aktuelle Jahresgutachten vor. „Wir sind froh, dass Herr Prof. Feld unser erstes virtuelles Format des Wirtschaftspolitischen Vortrags mitträgt“, so Scholten, „gerade in Zeiten wie diesen sollte man an Traditionen festhalten, sie sind kleine Inseln, die uns Normalität im Alltag wiedergeben können“. Daher habe man sich entschlossen, eine der traditionsreichsten Veranstaltungen der Sparkasse auch zum 35. Mal im Rahmen der Möglichkeiten durchzuführen.
Physisch nicht anwesend sein konnten die Träger der Sparkasse Rhein Nahe, die Landrätinnen der Landkreise Mainz-Bingen und Bad Kreuznach, Dorothea Schäfer und Bettina Dickes sowie die Oberbürgermeisterin, Dr. Heike Kaster-Meurer. Sie wünschten aber per Video-Grußwort der Veranstaltung viel Erfolg und den Menschen in der Region Mut, um die schwierigen Monate zu überstehen.
Zur Situation der Sparkasse Rhein Nahe fasste Peter Scholten zusammen: „Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter uns, in dem wir viel gelernt haben. Wir waren immer an der Seite der Kunden, auch wenn viele Mitarbeiter im Home-Office gearbeitet haben. In Sachen technischer Infrastruktur haben wir einen großen Satz nach vorne gemacht.“ Das wichtigste sei es gewesen, die Kunden mit Rat und Tat zu unterstützen, bei der staatlichen Förderung zu helfen, eigene Förderprogramme aufzulegen und Tilgungsaussetzungen zu ermöglichen.
Das Finanzinstitut selbst sei gut durch die Krise gekommen. Mit einer Bilanzsumme von knapp 5 Mrd. Euro zu Jahresbeginn und einer aktuellen Bilanzsumme von 5,6 Mrd. Euro könne sogar ein Wachstum verzeichnet werden. „Wir stehen solide aufgestellt den Kunden in der Region als Finanzpartner zur Verfügung“, sagt Scholten. Roßkopf stimmt zu und betont, dass keine weiteren Filialen geschlossen würden. Man denke eher über neue Nutzungskonzepte für die Zukunft nach.
Im Ausblick auf 2021 erläutert Scholten: „Wie in den letzten Jahren wird uns auch weiterhin die Niedrigzinsphase beschäftigen. Christine Lagarde spricht über eine Dekade.“ Daher müsse man Geschäftsmodelle überdenken. Das gelte für die Kunden genauso, wie für das Finanzinstitut. Die Sparkasse Rhein Nahe habe erfolgreich in neue Geschäftsfelder investiert. Top Thema sei nach wie vor die Nachhaltigkeit. Zudem stünde die Anpassung der Beratungsprozesse ebenso auf der Agenda, wie die weitere Digitalisierung.
Die pandemiebedingte Rezession überwinden
„Corona-Krise gemeinsam bewältigen, Resilienz und Wachstum stärken“, lautet der Titel des 556-seitigen Gutachtens, das Prof. Feld in seinem 30minütigen Vortrag vorstellte. Seit 2020 Vorsitzender und seit 2011 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nannte er als wichtigste Punkte neben der Bewältigung der Rezession, die Digitalisierung und den Klimawandel. Die Zahlen des Jahres 2020 seien dagegen nicht so schlecht wie befürchtet.
Für 2020 erwartet der Sachverständigenrat einen Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 5,1 Prozent. Die Bundesrepublik habe im 2. Quartal den bisher schärfsten Einbruch der Wirtschaftstätigkeit erlebt. Dennoch sei der Rückgang des BIP geringer als in der Finanzkrise mit 5,7 Prozent Minus. Der Aufschwung in den Sommermonaten führte zu einer leichten Erholung. Für 2021 prognostiziert der Rat gar ein Wachstum von 3,7 Prozent. Dies sei allerdings abhängig vom weiteren Verlauf der Pandemie. Das Winterhalbjahr werde insgesamt stagnieren. Im Hinblick auf den kommenden Impfstoff rechnet der Rat damit, dass die Wirtschaftstätigkeit im 2. Quartal 2021 wieder anziehen wird.
Die stark expansiven fiskalpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung habe der Sachverständigenrat begrüßt. Sie hätten zur Erholung der Wirtschaftsleistung temporär um 0,7 bis 1,3 Prozent beigetragen, dennoch seien sie nicht in allen Teilen zielgerichtet. So schlägt der Rat vor, die Überbrückungshilfen vermehrt den stark betroffenen Unternehmen zukommen zu lassen. Auch sollten die Möglichkeiten zum steuerlichen Verlustrücktrag ausgeweitet werden.
Die im Raum stehende Frage, ob wir uns die riesigen Summen des Konjunkturpakets überhaupt leisten können, beantwortet Prof. Feld mit einem klaren Ja! „Die Konsolidierungspolitik der letzten zehn Jahre hat dafür gesorgt, dass wir in Deutschland ausreichend Spielraum haben, um auf die Situation fiskalpolitisch zu reagieren“, bekräftigt er. Rechne man alle Maßnahmen des Konjunkturpakets zusammen, betrage der Anteil am Bruttoinlandsprodukt über 30 Prozent. Große Teile seien Kredite, Bürgschaften und Garantien, die nicht in der Summe abgerufen würden. Die Schuldenquote betrage in 2020 72 Prozent des BIP, in 2021 erwarte der Rat eine Senkung auf 71 Prozent. Zum Vergleich nennt Prof. Feld die Schuldenquote nach der Finanzkrise in Höhe von 82 Prozent. Der Sachverständigenrat setze auf Wirtschaftswachstum zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen, „Steuererhöhungen wären in dem Fall kontraindiziert, weil sie das gewünschte Wachstum hemmen würden“, warnt Prof. Feld.
Das Jahresgutachten beschreibt auch, welche Impulse die Maßnahmen der Bundesregierung setzen konnten. Während der Sachverständigenrat eine Erhöhung der Wirtschaftsleistung (des BIP) zwischen 0,57 bis 1,3 Prozent als Folge des Konjunkturpakets verzeichnen konnte, ergaben dagegen Studien im Hinblick auf die Umsatzsteuersenkung nur einen sehr moderaten Konjunkturimpuls. „Für ein solch teures Instrument hätte man sich andere Maßnahmen vorstellen können“, bedauert Prof. Feld.
Innerhalb Europas stehe Deutschland gut da. Spanien, Italien und Frankreich hätten deutlich kräftigere Einbrüche zu verzeichnen. „Das bedeutet für die außenwirtschaftliche Entwicklung im Euroraum wenig Impulse“, erklärt Prof. Feld. „Impulse kommen jetzt eher aus China und aus den USA. Durch die zurückhaltenden Schließungen dort ist der Absatzmarkt für die deutsche Wirtschaft erhalten geblieben“.
Um die Resilienz und die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Wirtschaftsraums zu erhöhen, schlägt der Sachverständigenrat gezielte Investitionen wie europäisches Kurzarbeitergeld, neue Kreditprogramme der Europäischen Investitionsbank und erleichterter Zugang zu den Krediten des europäischen Stabilitätsmechanismus vor. Um auf zukünftige Krisen angemessen reagieren zu können, sollten im Zuge einer verfestigten Erholung wieder größere Spielräume für die Fiskal- und Geldpolitik in Deutschland und dem Euro-Raum eröffnet werden.
Der Strukturwandel sei eine weitere große Herausforderung, aus dem sich aber auch Chancen ergeben würden, so Prof. Feld. Hierfür seien klare Rahmenbedingungen nötig, zum Beispiel mit einer Energiepreisreform, welche die EEG-Umlage abschafft und die Stromsteuer auf das europäische Minimum absenkt. Damit würden die Koordinationsfunktion des CO2-Preises gestärkt und Anreize zur Sektorkopplung (Einsatz von Strom in den Sektoren Wärme und Verkehr sowie in der Industrie) verbessert. Eine internationale Zusammenarbeit in der Energie- und Klimapolitik sei hier wesentlich.
Die wichtigsten langfristigen Ziele: Digitalisierung und Klimaschutz
Neben der Bewältigung der Pandemie sind dies nach Ansicht der Sachverständigen die Problemstellungen unserer Zeit. Für den Klimaschutz sei die CO2 Bepreisung – auch in höheren Beträgen – ab 2021 notwendig. Hoffnung setze man jetzt auch in die neue Administration in den USA in Bezug auf eine größere Kooperationsbereitschaft in der Klimapolitik. Prof. Feld hält es für misslich, dass Deutschland in den vergangenen Jahren zu einseitig auf die E-Mobilität gesetzt habe: „Für die Antriebe der Zukunft sind auch Wasserstofftechnik und die Forschungsintensivierung synthetischer Kraftstoffe von Bedeutung.“
Die Corona-Situation habe den prekären Zustand der Digitalisierung, der schon länger bestehe, offenbart, vor allem in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen und im Bildungssystem. „Es kann nicht sein, dass Datenschutz der Politik wichtiger zu sein scheint als die Rettung von Menschenleben“, beklagt Prof. Feld mit Hinweis auf die Corona Warn-App. Das Thema Digitalisierung sei auch im Hinblick auf Infrastruktur und Künstliche Intelligenz (KI) wesentlich. Deutschland habe vor zehn Jahren einen Anteil von 6 Prozent an KI-Patenten gehalten, heute seien es nur noch drei Prozent. China habe seinen Anteil ausgeweitet und die USA ihren starken Anteil von über 25 Prozent gehalten. Der Nachholbedarf für die KI sei substanziell für die Industrie 4.0. Investoren beobachteten die Entwicklung in Deutschland.
Das Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen zeigt also einige Problemstellungen auf, die die Wirtschaft in Deutschland künftig zu meistern hat. Aber es lässt auch positive Aspekte und die Nutzung der neuen Chancen erkennen. Seinen Vortrag beendete Prof. Feld mit guten Nachrichten: „Deutschlands Wirtschaft hat sich bisher als ziemlich widerstandsfähig gezeigt. Wenn man fragt, welches Land am stärksten wirtschaftlich und gesundheitlich aus der Krise herauskommen wird, lautet die Antwort einhellig: Deutschland“.
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