Wirtschaftspolitischer Vortrag blickt kritisch in die Zukunft des Geschäftsmodells Deutschland
Holger Wessling, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Rhein-Nahe, Moderatorin Gundula Gause, Landrätin Bettina Dickes, Wirtschaftsweise und Expertin für Finanzmarktökonomie Prof. Dr. Ulrike Malmendier, Oberbürgermeister der Stadt Ingelheim Ralf Claus und Vorstand Jörg Brendel blicken auf einen erkenntnisreichen und interessanten Wirtschaftspolitischen Vortrag zurück
Mit rund 800 geladenen Gästen fand der 38. Wirtschaftspolitische Vortrag der Sparkasse Rhein-Nahe in der kING Kultur- und Kongresshalle in Ingelheim statt. Viele Unternehmens- und Firmenkundinnen und -kunden sowie lokale Wirtschaftsgrößen waren der Einladung gefolgt, um dem Impulsvortrag von Prof. Dr. mult. Dr. h.c. Ulrike Malmendier, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, anzuhören. Die Professorin für Finanzmarktökonomik an der Haas School of Business der University of California in Berkeley referierte über Teile des fast 500-seitigen Jahresgutachtens 2023/24 der Wirtschaftsweisen.
Thematisch stand die Veranstaltung unter dem Thema „Geschäftsmodell Deutschland in Gefahr? Wo Chancen für den Standort Deutschland liegen“. Nachrichtenmoderatorin Gundula Gause des ZDFs führte durch das Programm. Für die musikalische Untermalung der Veranstaltung sorgte die Musikschule Ingelheim rund um Pianistin Liane Prager und Sängerin Carolin Smykla.
Neben Bettina Dickes, Landrätin des Landkreises Bad Kreuznach und Verwaltungsratsvorsitzende der Sparkasse Rhein-Nahe, und Ralf Claus, Oberbürgermeister der Stadt Ingelheim, nahmen auch Holger Wessling, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Rhein-Nahe sowie Vorstandsmitglied Jörg Brendel an der Veranstaltung teil. Holger Wessling, für den es der 1. Wirtschaftspolitische Vortrag war, übernahm die Begrüßung und bedankte sich bei der Musikschule Ingelheim für die gelungene Eröffnung. Allen Teilnehmenden wünschte er einen erkenntnisreichen und interessanten Abend mit vielen neuen Anregungen und wertvollen Denkanstößen.
Die verhinderte Landrätin des Landkreises Mainz-Bingen, Dorothea Schäfer, schickte eine Videobotschaft, in der sie die aktuellen Herausforderungen des Landkreises herausstellte. „Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist überall spürbar. Ich halte es für dringend notwendig intensiver über dieses Thema zu sprechen. Gerade Handwerksunternehmen oder MINT-Fächer sind davon betroffen. Es muss also unser aller Ziel sein, Lösungen zu finden.“ Landrätin Bettina Dickes schloss sich der beschriebenen Problematik an und ergänzte: „Wir brauchen weniger bürokratische Auflagen, die es uns ermöglichen, dass ausländische Fachkräfte und auch Migranten ihre Arbeit schneller aufnehmen können. Doch nicht nur beim Thema Arbeit; auch im Bereich Wohnen herrscht Handlungsbedarf.“ Oberbürgermeister Ralf Claus stimmte ebenfalls zu: „Wir erleben in Ingelheim einen Einbruch vor allem im privaten Wohnen. Teilweise fehlt es an Wohnraum und oft ist dieser, wenn vorhanden, nicht bezahlbar. Hier entsteht eine Diskrepanz: Wir können nicht Fachkräfte suchen, diesen aber keinen Wohnraum zur Verfügung stellen.“
Schrumpfende Wirtschaft durch Fachkräftemangel und geringem Arbeitsvolumen
Anschließend informierte Prof. Malmendier, die seit September 2022 dem Sachverständigenrat angehört, die Gäste in ihrem 20-minütigen Vortrag, über die aktuelle Lage. „Bei allen Krisen, die unsere Wirtschaft bremsen, wie der Corona-Krise, der Energie-Krise und dem Ukraine-Konflikt, müssen wir uns mehr auf das mittel- bzw. langfristige Wachstum in Deutschland fokussieren. Es wird immer Krisen geben, doch diese dürfen nicht dazu führen, dass wir strukturelle Probleme nicht angehen. Zurzeit befinden wir uns an einem historischen Tiefpunkt des Wachstums. Es ist mit einer Schrumpfung der Wirtschaft um 0,4 Prozent im nächsten Jahr zu rechnen“, sagte die Expertin. Dabei führte sie aus, dass die Gründe hinreichend bekannt seien. Der demografische Wandel, die Überalterung der Gesellschaft und weniger Geburten seien nur einige Beispiele. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalter sei ein Anfang, reiche aber bei Weitem nicht aus. Auch bundesweit mache sich der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel bemerkbar: zu wenig Erwerbstätige im Inland, weniger Bewerbungen und ein rückläufiges Arbeitsvolumen pro Person. Hinzu komme die veränderte Einstellung zum Thema Arbeit der Generation Z. „Aspekte wie die 4-Tage-Woche, Mental Health und Work-Life-Balance gewinnen zunehmend an Bedeutung. Arbeitgeberinnen und -geber müssen in Zukunft auf diese Wünsche eingehen, Berufe attraktiver machen und zeigen, dass Arbeit sehr erfüllend sein kann“, rät die Professorin.
Kapital- und Aktienmarkt als vielversprechender Hebel der Gesellschaft
Ein bedeutsamer Hebel der Gesellschaft sei der Kapitalmarkt. „Der Ansatzpunkt, der meines Erachtens noch nicht ausgereizt ist, sind die Kapitalmärkte. In Deutschland erfolgt die Finanzierung von Unternehmen meist durch Eigenkapital und Bankkredite. In den USA kommt das Kapital oft über Kapitalmärkte. Börsennotierte Unternehmen spielen eine deutlich größere Rolle“, konstatierte Malmendier. Sie begründete: „Junge, verrückte, enthusiastische Menschen müssen wieder eine Perspektive sehen, den Gründergeist zurückgewinnen und sich etwas trauen. All‘ die „Global Player“ und „Hidden Champions“ kommen nicht von ungefähr. Auch diese standen irgendwann am Anfang.“ Mithilfe verstärkter Wagniskapital- und Eigenfinanzierung von großen institutionellen Investoren auch außerhalb des Bankensektors müsse man die Kapitalmärkte stärken. „Ansatzpunkte sind gemacht. Wir haben Nachholbedarf und müssen etwas tun“, forderte die Referentin.
Auch die Teilnahme am Aktienmarkt könne eine Stellschraube zur positiven Entwicklung sein: „Deutschland ist das Land der Sparer. Das ist nicht schlecht, doch in der Nullzinsphase wenig zielführend. Wir müssen unsere Investitionen überdenken. Langfristig müssen wir an der Finanzbildung, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis arbeiten.“ Dabei müsse man die internationale Zusammenarbeit stärken. „Wir sind als ein Land in Europa eingebettet. Wir können die Diversifikationen untereinander noch weiter vorantreiben, indem wir grenzüberschreitende Investitionen erleichtern.“ Zum Ende ihres Vortrags resümierte Professorin Malmendier: „Kapitalmarktbasierte Investitionen bringen Wachstum. Wir müssen einer breiten Bevölkerung Zugang zum Aktienmarkt ermöglichen und rechtliche Grundlagen vereinfachen. Es liegt an uns, diesen nächsten Schritt zu gehen.“
In der nachfolgenden Gesprächsrunde stellte Moderatorin Gundula Gause den neuen Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse Rhein-Nahe, Holger Wessling, vor. Hierbei lobte der gebürtige Oberpfälzer die Sparkasse Rhein-Nahe als kunden- und mitarbeiterfreundliches Unternehmen mit starken Wurzeln in der Region, tollen Menschen und spannenden Aufgaben. Die Fragen, die dem Publikum gestellt wurden, zeigten ein ähnliches Stimmungsbild wie der Vortrag der Expertin. Neben positiven Aspekten wie einer soliden industriellen Basis, einem starken Mittelstand und verlässlichen Rahmenbedingungen, bildeten der Mut zur Transformation sowie Start-Up-Mentalität und Gründergeist eher die Schlusslichter der deutschen Stärken. Zukunftsfähig werde Deutschland durch neue Innovationen sowie eine Ausbildung auf hohem Niveau und den Einsatz von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Nur so könne man Vorreiter einer klimaneutralen und innovativen Wirtschaft sein. Dabei sind die größten Herausforderungen der deutschen Wirtschaft neben dem Fachkräftemangel, die Inflation und die Bürokratie, aber auch die Migration, Abhängigkeit von anderen Ländern und die politischen Rahmenbedingungen. In Summe fasste Prof. Malmendier zusammen: „Wir müssen die deutsche Wirtschaft weiter voranbringen. Lassen Sie uns gemeinsam gute Gründe finden, es zu tun.“
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